Zweiter Weltkrieg
Der Zweite Weltkrieg wird in Belarus häufig mit dem Großen Vaterländischen Krieg gleichgesetzt, die Begriffe sind allerdings nicht deckungsgleich. Der “Große Vaterländische Krieg” begann am 22. Juni 1941 mit dem Angriff des Dritten Reichs auf die Sowjetunion, fast zwei Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen. Gemäß der geheimen Zusatzvereinbarung im Hitler-Stalin Nichtangriffspakt über die Aufteilung Polens, rückten In der Nacht zum 17. September 1939 Truppen des Belarussischen besonderen Wehrkreises unter dem Vorwand belarussische Landsleute und Ukrainer befreien zu wollen, in Polen ein. So begann der sowjetisch-polnische Krieg. Die Sowjetunion wollte die Situation nutzen um ihre Macht über das westlichen Belarus und die Ukraine auszuweiten. Das westliche Belarus wurde im Herbst 1939 in die Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik eingegliedert (BSSR) und wurde somit Teil der Sowjetunion.
Nazi Deutschland bereitete sich seinerseits auf einen Angriff auf die Sowjetunion vor. Seit Juni 1940 wurden Pläne für das Unternehmen Barbarossa vorangetriebenen. Der Plan sah einen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 vor, der die Rote Armee in einem Blitzkrieg bis zum Winter desselben Jahres niederringen sollte. Dafür zogen Deutschland und seine Verbündeten Italien, Rumänien, Ungarn und Finnland große Teile ihrer Truppen auf polnischem Territorium nahe der Grenze zur UDSSR zusammen, wo die mächtige Heeresgruppe Mitte konzentriert war. Über Hitlers Absichten die Sowjetunion anzugreifen berichteten sowjetische Geheimagenten lange vorher. Die sowjetische Führung allerdings verkannte die Brisanz dieser Nachrichten und tat sie als Lügen und Provokation ab. Bis zuletzt wollte man nicht wahr haben, dass der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt von Deutschland einseitig aufgekündigt werden könnte.
In den Morgenstunden des 22. Juni 1941 überschritten deutsche Truppen die sowjetische Grenze. Die Wehrmacht hatte durch die erfolgreichen Schlachten in Westeuropa bis zu diesem Zeitpunkt immense Kampferfahrung gesammelt und verfügte über eine der schlagkräftigsten Armeen der Welt. Die ersten Vorstöße erfolgten in Richtung Brest, wo es zu den ersten schweren Kämpfen kam. In nur vier Tagen kämpfe sich die Wehrmacht bis ins 350 Kilometer entfernte Minsk vor, zwei Tage später hatte sie Minsk eingenommen. Die Rote Armee war der deutschen Wehrmacht zu Kriegsbeginn hoffnungslos unterlegen, die Verteidigung der westlichen Wehrbezirke war unzureichend beziehungsweise gar nicht vorbereitet worden. Erschwerend kam hinzu, dass in den 1930er Jahren circa 40 Prozent der erfahrensten Offiziere und Generäle der Roten Armee dem stalinschen Terror zum Opfer gefallen waren. Die Landesverteidigung oblag zu diesem Zeitpunkt meist einfachen und unerfahrenen Soldaten. In den ersten Kriegstagen rief die Verwaltung die Bevölkerung auf Ruhe zu bewahren und propagierte ein schnelles Zurückschlagen des Feindes. Die Verwaltung selbst wurde jedoch unmittelbar nach Kriegsanfang evakuiert.
Erst am 29. Juni 1941 begann die allgemeine Mobilmachung der Roten Armee. Von Juni bis August 1941 wurden über 500.000 Belarussen zum Wehrdienst eingezogen. Viele Bewohner, sogar junge Mädchen, meldeten sich freiwillig zum Frontdienst. Dieses Thema behandelt die 2015 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Schriftstellerin Swetlana Aleksijewitsch eindrücklich in ihrem Buch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht”.
Seit den ersten Tagen des Großen vaterländischen Kriegs wurde das belarussische Territorium zur Hauptarena der grausamen Konfrontation zwischen der Wehrmacht und der Roten Armee. Die Zivilbevölkerung litt extrem unter dem Krieg, die ständigen Bombenangriffe legten alles in Schutt und Asche, das Land war überschwemmt von Flüchtlingen, die Versorgungslage katastrophal.
Die Rote Armee schaffte es dennoch circa 1,5 Millionen Menschen, industrielle Anlagen verschiedener Fabriken sowie Massen an Vieh bis hinter den Ural zu evakuieren.
Anfang Juli 1941 unternahm die oberste sowjetische Führung den Versuch, eine Verteidigungslinie entlang der Düna und des Dneprs zu etablieren. Um viele Städte wie Borissow, Bobruisk, Mogiljow, Gomel und andere kämpften sowjetische Soldaten buchstäblich bis zum letzten Mann. Trotzdem war das gesamte belarussische Territorium Anfang September von der Wehrmacht okkupiert. In den Abwehrschlachten verloren die Truppen der Roten Armee mehr als 1,5 Millionen Soldaten sowie Tausende Maschinen- und Waffeneinheiten. Standhaft kämpfte die Besatzung der Brester Festung bis Ende Juni 1941. Die Verteidigung Weißrusslands hatte für Stalin große militär-politische Bedeutung.
In den aufreibenden, blutigen Schlachten kam der deutsche Plan vom “Blitzkrieg” zum Erliegen, der Mythos von der Unbesiegbarkeit des Dritten Reichs erlitt den ersten großen Dämpfer.
Dennoch trat nach der Besetzung des weißrussischen Territoriums das Besatzungsregime als neue Ordnung in Kraft. Unter der circa drei Jahre währenden Besetzung befanden sich etwa 8 Millionen Einwohner und 900.000 sowjetische Kriegsgefangene. Hitlers Plan Ost sah vor, 25 Prozent der Bevölkerung am Leben zu lassen und als Arbeitskraft zu nutzen, 75 Prozent sollten vernichtet bzw. ausgewiesen werden. Die neue Ordnung wurde von SS, SA, SD, Sicherheitspolizei, Gestapo und Gendarmerie gestützt. Außerdem wurden spezielle Einsatzgruppen gegründet, deren Hauptaufgabe der Kampf gegen Partisanen und Untergrundkämpfer war. In Belarus gab es 260 Vernichtungslager mit verschiedenen Außenstellen. Allein im Vernichtungslager Maly Trostinez wurden laut sowjetischen Angaben circa 206.500 Menschen umgebracht. In den größten Städten wurden Ghettos eingerichtet. Eines der größten Ghettos in Europa war das Minsker Ghetto, in dem über 100.000 Juden getötet wurden.
Während der Besatzungsperiode führten die Okkupanten mehr als 140 große Strafexpeditionen gegen Partisanen und die Zivilbevölkerung durch. Insgesamt vernichteten sie 5.295 Ortschaften, 628 Siedlungen wurden zusammen mit den Bewohnern verbrannt. Viele dieser Ortschaften wurden nicht wieder aufgebaut. Zum tragischen Symbol dieser Gräueltaten wurde das verbrannte Dorf Chatyn unweit von Minsk. An gleicher Stelle wurde 1969 eine eindrückliche Gedenkstätte errichtet.
Der Rest der Bevölkerung wurde systematisch ausgebeutet. Unter unmenschlichen Bedingungen mussten viele in Fabriken arbeiten, 380.000 Bewohner wurden als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert.
Im Frühjahr 1942 wurde auf dem Territorium des Generalbezirks Weißruthenien eine Bodenreform durchgeführt. Laut der Reform wurden alle Kolchosen aufgelöst und die Bodennutzung ging formell auf die lokalen Bauern über.
An der Spitze der deutschen Verwaltung in Belarus stand der Gauleiter Wilhelm Kube. 1943 kam er bei einem Attentat ums Leben, bei dem die beiden Minsker Partisaninnen Elena Masanik und Maria Ossipowa eine Bombe in seiner Wohnung platzierten. Zur Vergeltung wurden 300 Häftlinge des Minsker Gefängnisses erschossen. Den Posten von Kube übernahm Curt von Gottberg, seinerseits hochrangiges SS Mitglied.
Auf dem Territorium Weißrusslands organisierte sich während der Okkupation großer Widerstand. Belarus wurde nach dem Krieg als Land des klassischen Partisanenkriegs weltweit bekannt. Die erste sechzig Mitglieder zählende Partisanenabteilung entstand bereits am ersten Kriegstag im Süden des Landes, in der Stadt Pinsk. Die Abteilung kämpfte gegen den gemeinsamen Feind unter der Leitung von Wassilij Korsch.
Während der Besatzung bildeten sich 1.255 Partisanenabteilungen, die mit Hilfe der Lokalbevölkerung gegen die Naziherrschaft kämpften. Nach Angaben des belarussischen Stabs der Partisanenbewegung zählte man circa 374.000 Partisanen in Belarus. Es gab etwa dreißig komplett von Partisanen kontrollierte Landstriche, die die Wehrmacht nicht zu besetzen vermochte. Ende 1942 unterstand etwa ein Drittel des weißrussischen Territoriums der Kontrolle der Partisanen, ein Jahr später bereits fast zwei Drittel. Am erfolgreichsten waren die Partisanen mit dem “Eisenbahnkrieg”, er spielte eine Schlüsselrolle für die Befreiung des Landes. Die Partisanen zerstörten Eisenbahnstrecken auf dem besetzten Territorium, brachten deutsche Transporte zum Entgleisen und erschwerten damit die Versorgung mit Waffen, Munition und Proviant.
Als Ergebnis des strategischen Vormarsches der Roten Armee im Jahr 1943 wurde die Frontlinie zu Belarus verschoben. Am 23. September 1943 wurde die erste belarussische Kreisstadt Komarin befreit. Die belarussische Operation unter dem Titel Bagration war eine der größten Kampfhandlungen im Großen Vaterländischen Krieg. Die Operation wurde vom 23. Juni bis 29. August 1943 durchgeführt. Sie zielte darauf ab die deutsche Heeresgruppe Mitte zu vernichten, das gesamte Territorium Weißrusslands zu befreien, den Feind zum Rückzug zu zwingen und die Nachbarländer Litauen, Lettland, und Polen zu erreichen.
Die belarussische Hauptstadt Minsk wurde am 3. Juli 1944 befreit, dieser Tag gilt heute als Tag der Unabhängigkeit des Landes. Am 28. Juli wurde das gesamte Land befreit, und die Rote Armee nährte sich der Grenze Ostpreußens.
Die Folgen des Zweiten Weltkrieges waren für Belarus gravierend. Von allen am Krieg beteiligten Nationen gehört Belarus zu den am meisten betroffenen. 209 Städte und 9200 Dörfer wurden komplett verbrannt bzw. zerstört. Die menschlichen Verluste waren gewaltig. Die von Historikern geschätzten Opferzahlen liegen zwischen 2,5 und 3 Millionen Menschen. Somit verlor etwa jeder dritte Belarusse sein Leben während des Krieges.
Das Andenken an diesen Krieg lebt in Belarus heute fort. Der Tag des Sieges über Nazi Deutschland, der 9. Mai, wird in jedem belarussischen Ort begangen. In der Hauptstadt Minsk findet an diesem Tag jährlich eine große Parade statt, die der belarussische Präsident persönlich abnimmt.
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Auf unserem YouTube-Kanal können Sie übrigens eine interessante Geschichte eines ehemaligen Häftlings des Konzentrationslagers Buchenwald sehen, der unmenschliche Bedingungen im Lager ertragen musste, überlebte und es schaffte, ein ungebrochener und optimistischer Mensch zu bleiben.