Vernichtungslager Maly Trostinez
Vielen unbekannt, war Maly Trostinez das größte deutsche Vernichtungslager auf dem Territorium der Sowjetunion. Selbst in Standardwerken zur Schoah kam das Lager bis in die 1990er Jahre nicht vor.
Bald nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 28. Juli 1941 wurde unter Kontrolle der Kommandantur der Sicherheitspolizei mit der Einrichtung des Lagers begonnen. Was Opferzahlen in den Vernichtungslagern der Nazis betrifft, liegt Maly Trostinez auf dem vierten Platz nach Auschwitz, Majdanek und Treblinka. In Trostinez wurden Zivilisten und Kriegsgefangene, Juden aus Polen, Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei ermordet. Nach dem Krieg schätzte eine sowjetische Kommission die Opferzahl auf insgesamt 206.000. Westliche Historiker erachten bis zu 60.000 Tote als gesichert.
Der Name Trostinez vereinigt drei Orte:
- den Wald von Blagowschtschina, ein Ort an dem Massenerschießungen stattfanden
- das eigentliche Lager, 12 km gen südöstlich von Minsk gelegen
- den Wald von Schaschkowka, dort war ein provisorisches Krematorium eingerichtet wo Massenverbrennungen stattfanden
Die Ermordung der Menschen lief vor allem durch Erschießungen ab. Die Menschen mussten sich Ausziehen, wurden dann an den Rändern langer Gräben aufgestellt und mit einem Kopf- oder Genickschuss erschossen. Die Leichen wurden vergraben und die Erde mit einem Raupenschlepper verdichtet.
Im Herbst 1943, als eine Niederlage der Wehrmacht immer wahrscheinlicher wurde, versuchten die Nazis die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. Es wurde ein SS-Sonderkommando gebildet, dass die Aufgabe hatte die Leichname der Erschossenen wieder auszugraben und zu verbrennen. Diese unendlich grausame Arbeit mussten Gefangenen des Minsker Gefängnisses und Kriegsgefangene ausführen, die im Anschluss ebenfalls erschossen und verbrannt wurden. Im Herbst des Jahres 1943 wurden so im Wald von Blagowschtschina circa 50.000 Leichen ausgegraben und verbrannt. Die Einwohner der benachbarten Dörfern mussten hierzu einige tausend Kubikmeter Holz liefern. Nach dem Verbrennen der Leichen wurden die Knochen zerkleinert, und alle Schmucksachen und Goldzähne aus der Asche gesammelt.
An einem anderen Ort in der Nähe, im Wald von Schaschkowka, baute die Wehrmacht ein provisorisches Krematorium, um die Leichen von Erschossenen zu verbrennen. Es handelte sich um eine Grube mit leicht abfallendem Zugang. Auf dem Boden der Grube wurden sechs Reihen Schienen in einer Länge von 10 Metern auf die Eisengitter gelegt. Der Ort an dem sich dieses provisorisch Krematorium befand war mit Stacheldraht umzäunt und rund um die Uhr bewacht. Es war von Oktober 1943 bis Juni 1944 ununterbrochen in Betrieb.
Der letzte dokumentierte Akt der Massenvernichtung geschah im Juli 1944, wenige paar Tage vor der Befreiung von Minsk, als 6.500 Menschen im Vernichtungslager Trostinez erst erschossen und dann in einer Scheune verbrannt wurden. Es waren Gefangene des Gefängnis auf der Wolodarskogo-Straße und aus dem Lager in der Schirokaja-Straße in Minsk. Stepanida Sawinskaja und Nikolaj Walachanowitsch entronnen an diesem Tag ihrem Tod. Nach den Erinnerungen von Stepanida Sawinskaja waren unter den Opfern vor allem Frauen und Kinder zwischen drei und zehn Jahren.
Eine sowjetische Ermittlungskommission nahm bereits im Juli 1944 ihre Arbeit auf und entdeckte im Wald von Blagowschtschina 34 Massengräber. Einige der Gruben waren bis zu 50 Meter lang. Als die Massengräber geöffnet wurden, fand man bis in die Tiefe von drei Metern verbrannte menschliche Überreste und Ascheschichten die bis einen Meter hinab reichten. Nach sowjetischen Angaben wurden im Wald von Blagowschtschina circa 150.000 Menschen ermordet und vergraben, unter anderem an die 60.000 sowjetischen Kriegsgefangene, 50.000 Häftlinge des Minsker Ghetto, und über 20.000 deportierte europäische Juden.
Dem tragischen Schicksal der sowjetischen Juden folgten auch viele Juden aus Westeuropa, vor allem aus den von Nazi-Deutschland besetzten Ländern Österreich, Ungarn, Polen, sowie Böhmen und Mähren. Sie wurden unter verschiedensten Vorwänden gen Osten deportiert, beispielsweise und sie im Osten anzusiedeln oder zum Einssatz in deutschen Rüstungsbetrieben. Der erste Halt für die Transporte aus Westeuropa und dem Deutschen Reich fand in der belarussischen Kleinstadt Volkovysk statt. Hier wurden die Ankömmlinge weiterverteilt und mussten in Güterwagons umsteigen. Wenn ein Transport Verspätung hatte, wurde er zu einer anderen Etappenstation umgeleitet (z.B. Baranowitschi, Stolbtsy, Kojdanowo) wo die Menschen ein ähnliches Schicksal erwartete wie in Minsk.
Die Deportation der Juden aus Deutschland begann im September 1941. Es war geplant an die 50.000 Juden in das neu ausgerufene Generalkommissariat Weißruthenien zu deportieren. Der erste Transport aus Hamburg traf am 11. November 1941 in Minsk ein. In den darauffolgenden Monaten wurden 6.963 Juden aus Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Berlin, Bremen sowie aus Polen nach Minsk gebracht. Ein Teil wurde sofort in das Vernichtungslager verbracht, ein anderer Teil fiel den Mordaktionen im Minsker Ghetto zum Opfer. Juden aus Deutschland und Westeuropa wurden streng von den Juden aus der Sowjetunion getrennt. Im Minsker Ghetto gab dafür es zwei abgesonderte Bezirke. In das Minsker Ghetto wurden über 19.000 deutsche Juden deportiert. Von Seiten der deutschen Besatzungstruppen wurde gegenüber den deutschen Juden bis zuletzt der Anschein der Umsiedlung aufrechterhalten.
Auf dem Territorium des Ghettos befand sich ein weiterer abgetrennter Bereich, das Kinderheim. Dort waren die Kinder weitgehend sich selbst überlassen. Sie schliefen auf fauligem Stroh und litten unter Mangelernährung. Der Zweck dieses Kinderheimes war militärischer Art, die Kinder dienten als Blutspender für die deutschen Soldaten.
Das Konzentrationslager Trostinez war wie andere Lager ein Element des grausamen Vernichtungskrieges. Dennoch war dieses Vernichtungslager insofern einzigartig als dass sich dort alles mit allem verband: Die Vernichtung der Zivilbevölkerung und der Kriegsgefangenen, geplantes Morden und spontane Exekutionen von Menschen verschiedenster Nationalitäten und Konfessionen.
In der Nachkriegszeit wurden viele Orte der Massenvernichtung zu Mahnmalen der Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis. Es wurden Museen und Erinnerungsorte eingerichtet, es fand eine öffentliche Aufarbeitung statt. Trostinez blieb von derlei Erinnerungsprozessen weitgehend unberührt. Erst 1963 wurde ein Obelisk mit ewigem Feuer zum Andenken an Opfer von Trostinez errichtet, allerdings in beträchtlicher Entfernung der eigentlichen Vernichtungsorte und dem Konzentrationslager, im Dorf Wieliki Trostinez. Mit zwei einfachen Grabsteinen wurde der Opfer erinnert, die am Ende des Krieges im Krematorium von Schaschkowka ermordet wurden. Im Jahr 2002 wurde außerdem ein kleines Denkmal im Wald von Blagowschtschina aufgestellt. Im selben Jahr beschloss der Ministerrat der Republik Belarus, den Erinnerungskomplex „Trostinez“ zu schaffen. Der berühmte belarussische Architekt Leonid Lewin, der für viele Denkmäler zum Holocaust und zum Zweiten Weltkrieg in Belarus verantwortlich zeichnet, schuf den Hauptentwurf des gesamten Komplexes. Der Künstler konnte diesen nicht verwirklichen, er verstarb 2014 im Alter von 78 Jahren. Mittlerweile setzt seine Tochter Galina Lewina die Arbeit ihres Vaters fort. 2015 wurde in Maly Trostinez ein Gedenkmal eingeweiht.
In europäischen Archiven sind die Verzeichnisse mit den Namen vieler westeuropäischer Opfer von Trostinez erhalten. Von den deportierten westeuropäischen Juden kamen die meisten aus Wien, man geht von einer Zahl um die 10.000 aus. Von ihnen überlebten nur 17. Was sowjetische die Bürger angeht, sind heute nur etwa 600 Namen bekannt, darunter 400 Häftlinge des Minsker Ghettos und 50 Teilnehmer der Untergrundbewegung.
Bis heute kommen jedes Jahr Verwandte der Opfer von Trostinez nach Minsk, um ihrer Vorfahren zu gedenken, aufzuklären und zu erinnern was an diesem schrecklichen Ort geschah. So werden dieses Thema sowie das Interesse daran an jüngere Generationen herangetragen und weitergegeben.
Eine wichtige Aufgabe kommt in diesem Zusammenhang der Geschichtswerkstatt Minsk zu. Sie befindet sich in einem historischen Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen Minsker Ghettos. Die Geschichtswerkstatt ist ein deutsch-belarussisches Projekt, dass sich mit der Aufarbeitung der NS-Geschichte befasst, Bildungsprogramme in diesem Bereich umsetzt und überlebende Opfer begleitet und unterstützt. Sie steht Besuchern jederzeit offen. Die Geschichtswerkstatt beherbergt eine interessante Ausstellung zum Thema Holocaust in Belarus und zur Arbeit des Architekten Leonid Lewin.
Erfahren Sie mehr zu diesem Thema und gehen Sie mit uns auf eine Reise nach Minsk.
Einen eindrucksvollen Einblick in die Erinnerungsarbeit rund um Maly Trostinez bekommen Sie hier und auf unserem YouTube Channel. Dr. Aliaksandr Dalhouski stellt Ihnen in diesem Beitrag die Arbeit der Gedenkstätte vor. Er ist stellvertretender Leiter der Geschichtswerkstatt Minsk und leitet dort das Projekt „Zeitzeugenarchiv“. 2014-17 war er Mitarbeiter im Projekt „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ zur Vorbereitung einer deutsch-belarussischen Wanderausstellung der „Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte »Johannes Rau« Minsk (IBB Minsk)“ in Zusammenarbeit mit der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Aliaksandr ist zudem ein renommierter Autor und hat mehrere Bücher veröffentlicht, die der Geschichte seines Heimatlandes Belarus gewidmet sind. Sein letztes Buch über die Geschichte des Belowescher-Nationalparks mit dem Titel „Wisent-Wildnis und Welterbe: Geschichte des polnisch-weißrussischen Nationalparks von Bialowieza“ wurde 2017 publiziert (erhältlich auf Amazon).
Auf unserem YouTube-Kanal können Sie übrigens eine interessante Geschichte eines ehemaligen Häftlings des Konzentrationslagers Buchenwald sehen, der unmenschliche Bedingungen im Lager ertragen musste, überlebte und es schaffte, ein ungebrochener und optimistischer Mensch zu bleiben.