Literatur & Schriftsteller
Die Anfänge der belarussischen Sprache und Literatur sind im frühen Mittelalter zu finden. Das Aufkommen der Literatur war unmittelbar mit der Entstehung der Schrift im 10. Jahrhundert verbunden. Die wichtigsten Zentren der Schriftverbreitung waren Polozk und Smolensk (Russland), wo sich die ersten Formen der slawischen Geschichtsschreibung durch kirchliche und monastische Chroniken entwickelten. In der Epoche der Kiewer Rus entwickelte sich die Grundlage der belarussischen Literatur im Verbund mit der russischen und ukrainischen Literatur und Sprache. Herausragende Beispiele dieser Periode sind die „Rede von Ioan Polozkij“, die „Vita der Euphrosyne von Polozk“, die „Vita des Awraamij von Smolensk“, und die „Worte und Lehren“ des Kirill von Turau.
Der Absonderungsprozess der belarussischen Literatur von der gesamtrussischen lief zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert ab, als die belarussischen Territorien zum Großfürstentum Litauen gehörten und die ruthenische Sprache die Amtssprache war. In dieser Sprache wurden alle litauischen Statuten niedergeschrieben und veröffentlicht.
Seit dem 16. Jahrhundert wurden Bücher auf belarussisch gedruckt. Das erste der ostslawischen Sprache zuzuordnende Buch dass auf belarussisch gedruckt wurde war ein Psalter. Dieser wurde im Jahr 1517 in Prag von Francysk Skaryna gedruckt. Der Name Skaryna ist fest in der belarussischen Geschichte verankert, durch seine Leistungen in den Bereichen der Aufklärung, der Buchdruckerkunst und der Bücherverbreitung.
Der Nachfolger von Francysk Skaryna war Wasilij Tiapinskij, der als Humanist und Aufklärer bekannt war. Von seinen Ausgaben ist nur eine erhalten geblieben, und zwar das „Evangelium“, das sowohl auf kirchenslawisch als auch auf belarussisch gedruckt worden war. Im Vorwort zu dem Buch drückt er seine besondere Verbundenheit mit der belarussischen Sprache aus.
Zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert entstanden unter dem Einfluss der polnischen Kulturdie syllabische Barockpoesie und die dramatische Schule (Simeon von Polozk). Im 18. Jahrhundert stand das belarussische Volk und im besonderen die Oberschicht unter dem Einfluss der herrschenden polnischen Adligen. Das geschriebene belarussische Wort verlor dadurch zwischenzeitlich an Bedeutung. Zu einer Erneuerung und Wiederentdeckung der belarussischen Literatur kam es erst wieder gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Die ersten romantischen Werke wurden auf Basis der Volksdialekte verfasst, die eine starke Einwirkung auf die moderne belarussische Sprache hatten. Als Beispiele der damaligen Literatur gelten die satirischen Poeme von Wikenzi Rawinski und Jan Barschtscheuski sowie die Poesie von Pauluk Bagrim und Jan Tschetschot.
Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die romantische Literatur, die sich mit einer lebhaften Sprache an der Folklore orientierte. Der markanteste Vertreter dieser Richtung war Adam Mickiewicz, der in Belarus geboren war, aber auf polnisch schrieb. Bis heute diskutieren Wissenschaftler aus beiden Ländern darüber, welcher Nation der Dichter zuzurechnen ist.
Zur gleichen Zeit wurde Winzent Dunin-Marzinkewitsch literarisch tätig. Er gilt als der Stammvater der modernen belarussischen Literatur. Zu seinem Schaffen zählen nicht nur lyrische und dramatische Werke, er schrieb auch Theaterstücke für die Bühne. In seinem Dorftheater spielten alle Familienmitglieder und die hiesigen Bauern mit.
Ein wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der belarussischen Literatur hatte das Aufkommen der ersten legalen Zeitungen wie „Nascha Dolja“ (Unser Schicksal) und „Nascha Niwa“ (Unsere Flur). Diese Zeitungen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Vilnius herausgegeben, damals das intellektuelle Zentrum der belarussischen Intelligenzija. Um diese Zeitungen versammelten sich die besten belarussischen Prosaautoren und veröffentlichten dort ihre ersten Leseproben. So publizierten in diesen Zeitungen einschlägige belarussische Literaten wie Janka Kupala, Jakub Kolas, Tetka, Maksim Bagdanowitsch und viele andere. Diese Dichter zählt man derweil zum Goldenen Zeitalter des belarussischen Schrifttums. Die neuere belarussische Literatur war ein Gebilde aus unterschiedlichen Zusammensetzungen und nahm Züge verschiedener Richtungen und Stile wie dem Impressionismus und dem Symbolismus, der Romantik und der Moderne in sich auf. In den literarischen Werken in der Zeit des ersten Weltkrieges dominierte das Thema des Patriotismus.
Nach der Revolution von 1917 und der Bildung der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR) konzentrierte sich das Literaturleben um die Zeitschriften „Maladnjak“ (belarussisch: Jugendliche) und „Uzwyscha“ (belarussisch: Aufschwung). Die Schriftsteller und Dichter der jüngeren Generation waren: Uladzimir Dubouka, Cischka Gartny, Kuzma Tschorny und andere. In den 1930er Jahren war auch die belarussische Intelligenzija den Massenverfolgungen der politischen Repressionen (der Große Terror) ausgesetzt. Die Nacht des 29. zum 30. Oktober 1937 war für die belarussische Literatur ein immens großes Unglück, als 23 junge Dichter erschossen wurden.
Während des zweiten Weltkrieges war publizierte Literatur und Satire besonders wichtig, patriotische Werke sollten beim Kampf gegen den gemeinsamen Feind ihren Dienst leisten. Als anschauliche Bespiele dafür gelten die Gedichte „Iranisches Tagebuch“ von Pimen Pantschanka und „die Brigadefahne“ von Arkadz Kuljaschou. Die Romane „Milchstraße“ und „Suche nach der Zukunft“ von Kuzma Tschorny zählen zu den Höhepunkten der belarussischen Prosa während der Kriegsjahre.
Nach dem Krieg wurde das Kriegsthema neu überdacht und verarbeitet. Darüber legen die Romane und Novellen von Iwan Schamjakin, Michas Lynkou und Ales Adamowitsch Zeugnis ab. Der unübertroffene Meister der Kriegsprosa aber war Wassil Bykau, der mehr als hundert literarische Werke zu diesem Thema geschaffen hat. Seine sehr authentische Prosa ist geprägt von seinen eigenen Fronterfahrungen.
Die Literaturgattung „historischer Roman“ ist in Belarus sehr beliebt. In diesem Zusammenhang ist vor allem der Autor Uladzimir Karatkewitsch zu erwähnen. In seinen Romanen spiegeln sich die verschiedenen Perioden der belarussischen Geschichte wieder, vom Mittelalter bis zu den Kriegsjahren. Uladzimir Arlou ist ein bekannter zeitgenössischer Autor, der sich mit historischen Themen beschäftigt.
Erst Ende der 1960er Jahre eröffnete sich die Möglichkeit, sich literarisch mit sozialen und politischen Themen der näheren Vergangenheit auseinanderzusetzen. So zeichnete beispielsweise Iwan Melezh in einer Trilogie ein tiefgreifendes Bild über die unmenschliche Kollektivierung der Landwirtschaft in den 1930er Jahren. Durch seine philosophische Dichtung zeichnet sich Rygor Baradulin aus, der zweimal für den Nobelpreis für Literatur nominiert wurde.
Zu den innovativen zeitgenössischen Schriftstellern gehören Ales Rasanau, Adam Globus und Andrej Chadanowitsch, die dazu auch talentierte Übersetzer sind. Sehr bekannt im deutschsprachigen Raum ist das Buch „Minsk. Sonnenstadt der Träume“ von Artur Klinau. In diesem Werk verbindet der ausgebildete Architekt Merkmale eines Reiseführers, autobiographische Elemente und persönliche Erinnerungen und beschwört eine Utopie der belarussischen Hauptstadt.
Zur größten Sensation der modernen belarussischen Literatur gehört die Nobelpreisverleihung im Jahr 2015 an die belarussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch (die jedoch auf Russisch schreibt), „..für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt“ (Die Zeit). Sie wurde für ihre dokumentarische Prosa über das Leben in der sowjetischen und postsowjetischen Gesellschaft vielfach ausgezeichnet. Im Jahr 2013 erhielt sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Swetlana Alexijewitsch schreibt in einem ihr ganz eigenen Stil. Sie reißt durch das Land und redet mit Menschen zu Themen die diese bewegen. Diese Gesprächen komponiert sie zu opulenten Gesamtwerken. Ihr Stil oszilliert dabei zwischen Journalistik und schöngeistiger Literatur. Zu ihren wichtigsten Werken zählt man „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“, „Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen“, „Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft“, „Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus“ und andere.
Zu den wichtigsten Literaturveranstaltungen gehört das Literaturfestival Nefarmat, das jährlich in Minsk stattfindet. Neben zahlreichen Literaturlesungen werden Performances durchgeführt, an denen nicht nur Schriftsteller, sondern auch Musiker und andere Künstler teilnehmen.
Das moderne Literaturleben spielt sich vor allem in Minsk ab. Fast alle wichtigen Literaturveranstaltungen werden vom Literaturhaus „Logwinau“ durchgeführt. Das Literaturhaus entstand 2014 auf private Initiative einiger belarussischer Verleger und Schriftsteller und hat das Ziel, belarussische Literatur zu fördern und zu verbreiten. Da russisch in der Alltagssprache dominiert, soll das Belarussische durch die Literatur wiederbelebt werden. Das „Logwinau“ vereint Bücherei, Verlag und einen Ort des literarischen Austauschs. Im Rahmen zahlreicher Veranstaltungen des Literaturhauses haben Autoren, Leser und Kritiker die Möglichkeit, sich regelmäßig zu treffen und auszutauschen.
Das „Logwinau“ ist mittlerweile über die Landesgrenzen hinweg bekannt, und regelmäßig auf den Buchmessen in Leipzig, Frankfurt, Prag, und Warschau vertreten.