Ghetto Minsk und Holocaust
Die Ermordung der Juden war während der Vorbereitung des Angriffs auf die UdSSR miteinkalkuliert und Teil des Vernichtungskrieges des Dritten Reichs im Osten. Mit dem Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 wurden alle bolschewistischen Kommissare des Militärs und der inneren Verwaltung, worunter sich auch viele Juden befanden, ohne Militärgerichtsverhandlung hingerichtet. Auf dem Territorium von Belarus operierte die Einsatzgruppe „B“ unter dem Kommando des Chefs der Kriminalpolizei Arthur Nebe.
Nach der letzten Volkszählung vor dem zweiten Weltkrieg (1939) zählte man 70.998 Juden in Minsk, knapp ein Drittel der Gesamtbevölkerung der belarussischen Hauptstadt.
Am 19. Juli 1941 wurde von der Wehrmacht eine Anordnung erlassen, laut der ein Ghetto in Minsk geschaffen werden sollte. In der Anordnung wurden die Grenzen des Ghettos unweit des Stadtzentrums klar bestimmt. Das Minsker Ghetto bestand aus ca. 40 Straßen und Querstraßen und befand sich in dem nordwestlichen Teil der Stadt. Das Ghettoterritorium war von den Straßen Kolchoznaja, Nemiga, Respublikanskaja, Schornaja, Kollektornaja, Obuwnaja und Saslawskaja begrenzt. Nach Bekanntgabe der Anordnung hatten die Minsker Juden fünf Tage Zeit, in das Ghetto überzusiedeln. Dabei durften sie nur das Nötigste mitnehmen. Nach der Umsiedlung wurde das Getto ummauert und umzäunt, und dadurch quasi komplett von der Außenwelt isoliert. Es gab zwei Ein- bzw. Ausgänge, und das Ghetto durfte ausschließlich verlassen werden, wenn man als Ghettobewohner eine Arbeit außerhalb nachweisen konnte. Ungehorsam hatte schwerste Konsequenzen zur Folge. Juden waren gezwungen den Davidstern als Erkennungszeichen zu tragen.
Die Verwaltung des Minsker Ghettos wurde vom sogenannten Judenrat übernommen. Der Judenrat war eine Institution zwischen der deutschen Besatzungsbehörde und den Ghettobewohnern. Er bestand aus einflussreichen Bürgern der jüdischen Gemeinden, Rabbinern, Ältesten und Angehörigen der Intelligenz. Seine Aufgabe bestand unter anderem darin, das Meldewesen und die Registrierung der Bewohner zu regeln. Im Minsker Ghetto war es gängige Praxis, nach jeder Strafaktion gegen die jüdische Bevölkerung erneut Zählungen anzustellen.
Die Lebensrealität im Ghetto war gekennzeichnet von Hunger, Enge und außerordentlicher Bedrängtheit. Mehrere Familien mussten sich ein Zimmer teilen, es gab im Ghetto nur eine zentrale Küche. Die Zuteilung der Lebensmittel erfolgte nach der Kategorie Arbeit. So bekamen „nicht arbeitende“ Juden lediglich 150 Gramm Brot, 10 Gramm Graupen und 3 Gramm Salz pro Tag. Diejenigen, die unter die Kategorie „arbeitende Juden“ fielen, bekamen zusätzlich eine Scheibe Brot und einen Teller Suppe am Tag. In dieser Gemengelage kam es immer wieder zu Tumulten. Die Menschen lebten in ständiger Angst, die grundlegenden Gesetze des Ghettos waren Willkür und Gewalt.
Es gab keinerlei medizinische Versorgung, die hygienische Situation war katastrophal. Durch die vielen Toten, die nur sporadisch abtransportiert wurden, kam es schnell zur Ausbreitung von Seuchen und Krankheiten.
Der Judenrat hatte zudem die Aufgabe, unter den Bewohnern des Ghettos eine Polizei zu schaffen. Die Polizei des Ghettos, der sogenannte jüdische Ordnungsdienst, war der Vollstrecker der Befehle des Judenrates und der deutschen Besatzbehörden. Diese „Polizei“ war gezwungen, bei Aktionen gegen Ghettobewohner gemeinsam mit den deutschen Besatzern zu kollaborieren.
Trotz widrigster Bedingungen schafften die Gefangenen des Minsker Ghettos es, Widerstand zu organisieren. Im Ghetto waren zu verschiedenen Zeitpunkten bis zu 22 Untergrundgruppen aktiv. Die Anführer des Widerstands waren Personen wie G. Smoljar, M. Pruslin, M. Gebelew, N. Feldman. Der Widerstand im Untergrund befasste sich unter anderem mit der Kommunikation zu den Partisanen außerhalb des Ghettos, der Verständigung über konspirative Treffpunkte, sowie über Propagandaarbeit im Ghetto selbst.
Viele Belarussen riskierten ihr Leben und das ihrer Familien, indem sie aus dem Ghetto Geflüchtete retteten und in ihren Häusern und Wohnungen versteckten. Einige nahmen jüdische Kinder unter russischen Namen auf oder brachten sie in Kinderheimen unter.
Die Vernichtung der Juden begann in Belarus bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn. Zu Beginn des Jahres 1942 waren bereits in mehr als 40 Städten und Orten im Osten von Belarus Juden ermordet worden, da dieses Territorium zum Hinterland der Heeresgruppe Mitte zählte. Bis dahin waren geschätzt bereits über 5250 Juden in Bobruisk, ca. 7000 in Borisow, 4000 in Gomel, 3000 in Retschitza, und 6800 in Witebsk getötet worden.
Überlebende Gefangene des Minsker Ghettos erinnern sich zumeist an die schwarzen Tage des 7. und 20. November 1941, des 2. und 31. März 1942 und des 28. Juli 1942, wo durch die SS die größten Mordaktionen verübt wurden. Aufgrund der enorm hohen Anzahl an Menschen, die von Frühjahr 1941 bis Sommer 1942 durch die SS-Besatzungstruppen erschossen worden, suchte die SS nach effektiveren Tötungsmethoden. Ab dem Herbst des Jahres 1942 waren in Belarus erstmals sogenannte „Gaswagen“ (Dushegubka, russ: душегубка) im Einsatz, vor allem in Minsk und Baranowitschi. Die Nachkriegsforschung bezeichnet als Gaswagen speziell umgebaute Lastwagen, mit Hilfe derer die SS die Insassen vergaste. In der belarussischen Hauptstadt gab es vier Gaswagen, jeder konnte bis zu 60 Menschen aufnehmen.
Nach zweieinhalb Jahren seines Bestehens, am 21. Oktover 1943, wurde das Minsker Ghetto aufgelöst. Die verbliebenen ca. 1.000 Insassen wurden im Wald von Blagowschtschina bei Minsk getötet.
Bis zum Jahr 1942 wurden nahezu alle Juden in den Städten Brest, Baranowitschi, Wolkowisk, Klezk, Zhlobin ermordet. Im Dezember 1942 wurde Baranowitschi „judenfrei“ erklärt.
Im April 1942 verkündete der Chef der Sicherheitspolizei des Generalbezirkes Weißruthenien, Obersturmführer Strauch, dass auf dem Territorium des Generalbezirkes 130.000 von 150.000 Juden vernichtet wurden.
In den Jahren 1943 – 1944 setzten sich die Ermordungsaktionen gegen die Juden in Westen des Landes fort, in Grodno, Nowogrudok, Wolozhin und anderen Städten.
Ein ähnlich tragisches Schicksal wie die jüdische Bevölkerung der Sowjetunion erlitten auch Juden aus westeuropäischen Ländern. Sie wurden aus Österreich, Ungarn, Deutschland, Polen, aus dem Schutzgebiet Böhmen, und Mähren in die besetzten Gebiete in Belarus deportiert. Die Deportationen der Juden aus Deutschland begannen im September 1941. Es war geplant, ca. 50.000 Juden zu deportieren. Der erste Transport aus Hamburg kam am 11. November 1941 in Minsk an. Im Anschluss wurden weitere 6963 Juden aus Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt-am-Main, Berlin, Bremen sowie aus Polen nach Minsk gebracht. Es wurden dabei im Minsker Ghettos zwei voneinander durch Stacheldraht und Barrieren abgetrennte Bereiche errichtet, einer für die westeuropäischen Juden und einer für die sowjetischen Juden. Im Minsker Ghetto kamen über 19.000 deutsche Juden ums Leben.
Bei ihren Rückzug versuchten die SS-Besatzungstruppen ihre bestialischen Verbrechen zu vertuschen. Dazu wurden ab Herbst 1943 in streng geheimen Aktionen durch sogenannte Sonderkommandos Massengräber geöffnet und die darin liegenden Opfer der Erschießungen und Vergasungen verbrannt.
Obwohl das Minsker Ghetto seiner Zeit eines der größten Ghettos auf dem Territorium der Sowjetunion war, war wenig über seine Geschichte bekannt. Allein ehemalige Gefangene des Ghettos ergriffen 1946 die Initiative und errichteten an der Stelle eines Massengrabs in ehemaligen Zentrum des Ghettos, wo tausende Juden ums Leben kamen, ein Mahnmal in Form eines schwarzen Obelisken (Jama-Denkmal, auf russ: Grube).
Heute ist es vor allem die Geschichtswerkstatt Minsk, die sich aktiv um historische Aufarbeitung bemüht. Die Geschichtswerkstatt ist ein belarussisch-deutsches Projekt, das im Jahre 2002 durch das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund, die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ Minsk und den Verband der belarussischen jüdischen Organisationen und Gemeinden ins Leben gerufen wurde. Die Geschichtswerkstatt befindet sich in einem historischen Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen Minsker Ghettos, das ein Lernen aus der Geschichte an authentischen Orten ermöglicht.
Die zentralen Aufgabenbereiche der Geschichtswerkstatt bestehen in der Begleitung und Unterstützung überlebender Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, der Entwicklung und Umsetzung von Programmen der historischen Bildung und der Beförderung neuerer Forschungstendenzen in der belarussischen Kriegs- und Besatzungshistoriographie sowie der deutschen NS-Forschung.
Einen wunderbaren Einblick in die Arbeit der Geschichtswerkstatt bekommen Sie hier und auf unserem YouTube-Kanal. Dr. Aliaksandr Dalhouski stellt Ihnen in diesem Beitrag die Arbeit der Geschichtswerkstatt vor. Er ist stellvertretender Leiter der Geschichtswerkstatt Minsk und leitet dort das Projekt „Zeitzeugenarchiv“. 2014-17 war er Mitarbeiter im Projekt „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ zur Vorbereitung einer deutsch-belarussischen Wanderausstellung der „Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte »Johannes Rau« Minsk (IBB Minsk)“ in Zusammenarbeit mit der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Aliaksandr ist zudem ein renommierter Autor und hat mehrere Bücher veröffentlicht, die der Geschichte seines Heimatlandes Belarus gewidmet sind. Sein letztes Buch über die Geschichte des Belowescher-Nationalparks mit dem Titel „Wisent-Wildnis und Welterbe: Geschichte des polnisch-weißrussischen Nationalparks von Bialowieza“ wurde 2017 publiziert (erhältlich auf Amazon).
Auf unserem YouTube-Kanal können Sie übrigens eine interessante Geschichte eines ehemaligen Häftlings des Konzentrationslagers Buchenwald sehen, der unmenschliche Bedingungen im Lager ertragen musste, überlebte und es schaffte, ein ungebrochener und optimistischer Mensch zu bleiben.