Belowescher Urwald
Der Belowezha-Urwald (belarussisch: Belawezhskaja Puschtscha, polnisch: Puszcza Białowieska) ist der größte Rest eines Flachlandurwaldes, der in prähistorischer Zeit den ganzen Kontinent Europa bedeckte. Im Laufe der Zeit wurde der Urwald allmählich abgeholzt, es verblieb ein unberührter Rest auf dem Territorium von Belarus und Polen, zwischen dem heute die Staatsgrenze beider Länder verläuft. Auf beiden Seiten der Grenze hat der Urwald den gesetzlichen Status eines Nationalparks. Die Belawezhskaja Puschtscha rechnet man zur Vegetationszone eines „sarmatischen Mischwalds“. Auf dem Territorium des Nationalparks befindet sich außerdem die Europäische Hauptwasserscheide zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer.
Im Rahmen des UNESCO-Programms „Der Mensch und die Biosphäre“ (Man and the Biosphere Programme, MAB-Programm) wurde 1976 im polnischen Teil das Biosphärenreservat Belowezha gegründet. Das entsprechende Biosphärenreservat auf belarussischer Seite folgte im Jahr 1993 mit einer Größe von über 216.300 Hektar. Das gesamte Biosphärenreservat besteht aus einer Kern-, einer Puffer- und einer Übergangszone.
Im Jahr 1976 wurde der Nationalpark Bialowezhski (polnisch: Białowieski Park Narodowy) durch einen Beschluss der UNESCO zudem in die Weltkulturerbe-Liste aufgenommen. Im Jahr 1992 wurde das Territorium um den staatlichen Nationalpark Belawezhskaja Puschtscha (Belarus) erweitert und bekam den Namen Belovezhskaya Pushcha/Bialowieza Forest.
Im Jahr 2014 wurde das grenzüberschreitende Territorium des Weltkulturerbes mit einer Gesamtfläche von 141.885 Hektar und einer Pufferzone von 166.708 Hektar als „Białowieża Forest, Belarus, Poland“ eingerichtet.
Zur Beibehaltung der einzigartigen Natur des Belowezha-Urwalds wurde er in vier Zonen mit verschiedenen Schutzgraden unterteilt, in eine strenge Schutzzone, eine Zone begrenzter Nutzung, eine Erholungszone und eine Wirtschaftszone.
Die Belowezhskaja Puschtscha ist eines der wertvollsten Naturschutzobjekte Weißrusslands und der letzte erhaltene Tiefenurwald Europas.
Der Nationalpark liegt auf flachem Relief. Zu den größten Flüssen gehören Narew, Narewka, Rudawka, Lesnaja und andere. Natürliche Seen gibt es auf dem Territorium keine, dafür zehn künstlich angelegte Seen. Die größten von ihnen, Ljadskoe und Chmelewskoe, liegen im südlichen Teil des Parks, inmitten von Niedermooren.
Die Bodenbeschaffenheit des Urwaldes zeichnet sich überwiegend durch ein saures, nährstoffarmes Milieu aus. Die Klima- und Bodenbedingungen fördern das Wachstum einer breiten Vegetation mit mehr als 890 Pflanzenarten. 86% des Territoriums sind von Wald bedeckt, vorherrschend sind vor allem Kiefernwälder, diese bedecken knapp 60% des bewaldeten Territoriums.
Das durchschnittliche Alter der Bäume im Urwald ist 81 Jahre, einige Bäume sind allerdings schon zwischen 250 und 350 Jahre alt. Vor Ort sind mehr als tausend sogenannte Riesenbäume registriert. Das sind u.a. Eichen mit einem Alter zwischen 400 und 600 Jahren, Eschen und Kiefern zwischen 250 und 350 Jahren, sowie Fichten zwischen 200 und 250 Jahren. Die Fichte ist die Baumart die im Urwald am höchsten wächst, sie erreicht mitunter eine Höhe bis zu 50 Meter. In versumpften Flussniederungen und Niedermooren wachsen Erlenwälder. Die bedecken ca. 15% des bewaldeten Territoriums. Die Birkenwälder (knapp 10%) sind hauptsächlich bei Übergangsmooren, sowie in der Nähe von Ahorn, Äsche und Tanne zu finden.
Der Belowezha-Urwald findet mit seiner reichen Tier- und Pflanzenwelt in Europa kaum seinesgleichen. Es gedeien hier unter anderem 958 Arten von Gefäßsporen- und Gefäßsamenpflanzen, 260 Moosarten, 290 Arten von Flechten sowie 570 Pilzarten.
Was die lokale Fauna betrifft zählt man 59 Säugetier- und 227 Vogelarten, 7 Kriechtier- und 11 Amphibienarten, 24 Fischarten und über 11.000 wirbellose Tiere. Im belarussischen Teil des Nationalparks lebt die weltweit größte Population an Wisenten, auch europäischer Bison genannt (Bison bonasus). Von den großen Grasfressern trifft man vor allem auf den Rothirsch (Cervus elaphus), das Reh (Capreolus) und das Wildschwein (Sus scrofa). Unter den Raubtieren sind vor allem der Wolf (Canis lupus), der Fuchs (Vulpes vulpes), der Luchs (Lynx), der europäische Dachs (Meles meles), der Baummarder oder Edelmarder (Martes martes) und der Fischotter (Lutra lutra) hervorzuheben.
Zu den seltenen Tierarten gehören der schon genannte Wisent, der Luchs und der europäische Dachs. Es gibt zahlreiche seltene Vögel wie den Seeadler (Haliaeetus albicilla), den Schlangenadler (Circaetus gallicus), den Schwarzstorch (Ciconia nigra), den Graukranich (Grus grus), den Schreiadler (Aquila pomarina) und den Schelladler (Aquila clanga). Unter den Vogelarten befinden sich seltene Eulenarten wie der Uhu (Bubo bubo), der Bartkauz (Strix nebulosa) und der Habichtskauz oder Uralkauz (Strix uralensis), sowie der Sperlingskauz (Glaucidium passerinum). Weitere wichtige Vertreter der vielfältigen Vogelarten sind der Weißrückenspecht (Dendrocopos leucotos), der Dreizehenspecht (Picoides tridactylus), die Blauracke oder Mandelkrähe (Coracias garrulus), der Seggenrohrsänger (Acrocephalus paludicola) und andere.
Die Pflanzenwelt betreffend stehen u.a. die Pracht-Tanne (Abies magnifica), die Traubeneiche (Quercus petraea), der Türkenbund (Lilium martagon), die große Sterndolde (Astrantia major), und die Becherglocke (Adenophora liliifolia) auf der Roten Liste der bedrohten Arten der Republik Belarus.
Zur Geschichte des Urwaldes
Die Wälder des Naturschutzgebietes Belawezhskaja Putschscha sind die ältesten in Europa. Diese Wälder wurden bereits im Jahr 983 in einer der ersten Chroniken überhaupt, der Hypatiuschronik, erwähnt. Aus dem 12. Jahrhundert ist überliefert, dass schon der Großfürst von Kiew, Wladimir II. genannt Monomach, dort Auerochsen, Wisente und Hirsche jagte. Im 13. Jahrhundert kam das Gebiet des Urwaldes in den Besitz des litauischen Großfürsten und ging später auf die polnischen Könige über. Im Jahr 1409 verbot der polnische König Jogaila die Jagd in seinen Wäldern. Auf große Tiere durften nur der König selbst sowie seine Familienangehörigen Jagd machen. So blieb der Belowezha-Urwald dem Adel vorbehalten. Aber der Wald war ebenso Fleischlieferant für die Versorgung der Armee des Königs sowie Rohstoffquelle für Waffen. Die vermehrte Ausbeutung durch den Adel fügte dem Urwald großen Schaden zu.
Im 17. und 18. Jahrhundert änderte sich der Charakter der Jagd, sie verwandelte sich in einen luxuriösen Zeitvertrieb der Adligen. Für die Jagdfeste der Könige wurde ein großes Jagdhaus am Ufer des Flusses Nerewka gebaut. Zum bequemeren Jagen wurde ein großes Waldstück eingezäunt, wohin die Jäger des Königs große Wildtiere brachten.
In der Zeit, als der Belowezha-Urwald zum Russischen Imperium gehörte, durfte man in der Puschtscha zwar jagen, aber Wisente durften nicht abgeschossen werden.
Seit dem Jahr 1802 erfolgte eine regelmäßige Zählung des stark dezimierten Wisent-Bestands. Im Jahr 1864 wurden speziell Hirsche aus Deutschland eingeführt, sie waren zuvor komplett ausgerottet worden. Dies kann man als eine der ersten staatlichen Naturschutzmaßnahmen werten. Zu Zeiten des Russischen Imperiums war der offizielle Besitzer des Urwalds die Zarenfamilie. Von 1889 bis 1894 wurde hier ein kaiserlicher Jagdpalast errichtet, für den eine extra Eisenbahnlinie eingerichtet wurde, damit die Zaren bequemer anreisen konnten.
Während des Ersten Weltkriegs besetzten deutsche Truppen das Territorium des Urwaldes und begannen massiv Holz zu schlagen. In zweieinhalb Jahren wurden so 4,5 Millionen Festmeter Holz nach Deutschland ausgeführt. Die Kriegshandlungen und die Besatzung richteten auch für die Tierwelt immensen Schaden an. Im Jahr 1919 waren Wisente und Damhirsche endgültig ausgerottet, die Anzahl von Hirschen und Wildschweinen verminderte sich stark. Seit dem Jahr 1920 gehörte der Belowezha-Urwald gänzlich zu Polen, aber seine Ausbeutung setzte sich fort. Im Jahr 1935 war beinahe ein Fünftel des Urwalds abgeholzt.
Seit 1939 gehörte der Belowezha-Urwald zur Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR) und wurde Nationalpark. Nach dem II. Weltkriegs teilten Polen und die BSSR das Territorium des Urwalds unter sich auf. Auf dem polnischen Teil verlieb das historische Zentrum des Urwaldes, Belowezha, und die Tierzucht für die Wisente. Auf belarussischem Territorium waren kaum Strukturen zur weiteren Pflege und Erhaltung des Parks erhalten geblieben. Die polnischen Kollegen schenkten den Nachbarn jedoch fünf Wisente, die zu den Stammvätern der belarussischen Wisentpopulation wurden.
1957 erhielt der Belowezha-Urwald den Status einer geschützten Jagdwirtschaft, im Jahr 1991 wurde das Gebiet in der Form des staatlichen Nationalparks Belowezhskaja Puschtscha reorganisiert.
Heute gehört der Nationalpark zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten in Belarus. Touristen können den Urwald teils mit dem Fahrrad aber vor allem zu Fuß entdecken. Im örtlichen Naturkundemuseum lässt sich mehr zur Geschichte des Urwaldes und seiner mannigfaltigen Tier- und Pflanzwelten erfahren.
In der Nähe des Museums liegen große Gehege mit Wildtieren. Dort sind unter anderen der Luchs, Fuchs, Reh, Rothirsch, Elch, Bär, Wildschwein und natürlich das Wisent aus der Nähe zu betrachten.
Auch heute Bedarf der Park wieder Schutz und Aufmerksamkeit. Ein Aufschrei erfolgte vor zwei Jahren, als die polnische Regierung ankündigte, den Park wieder kommerziell zu nutzen und Holz zu schlagen. Das konnte zum Glück bis jetzt verhindert werden.