Belarus als Teil der Sowjetunion
Der Weg von Belarus als Teil der Sowjetunion begann mit der Februarrevolution im Jahr 1917, durch die Abdankung des Zaren und die demokratischen Reformen im sich auflösenden Russischen Imperium. Die Niederlage der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution von 1918 in Deutschland erlaubten der Regierung von Lenin den Friedensvertrag von Brest-Litowsk aufzukündigen. Als das gesamte Territorium von Belarus von der deutschen Besetzung befreit war, begann sich die belarussische Staatlichkeit neu aufzustellen. Das belarussische Volk strebte dabei nach Unabhängigkeit. Dies konnten die Bolschewiki in ihren Bestreben so viel vom Gebiet des ehemaligen Russischen Imperiums zu erhalten wie möglich, nicht zulassen. Aber die Existenz der selbsternannten Belarussischen Volksrepublik (BNR) und Ansinnen einiger politischer Parteien und Organisationen, verhalfen dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Belarus zur Entscheidung, am 24. Dezember 1918 die Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik zu schaffen. Es gab aber noch keine Sowjetunion, erst am 29. Dezember 1922 unterschrieben die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR), die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (USSR), die Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) und die Transkaukasische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik den Vertrag über die Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken mit der Hauptstadt in Moskau. Die Sowjetunion war ein Staatenbund mit einer einheitlichen Regierungen und gemeinsamen exekutiven und juristischen Gewaltenorganen die sich in ihrem Gesetzgebungs- und Rechtssystem nach der sozialistischen Gesellschaftstheorie ausrichteten. Nach der sowjetischen Verfassung galten die Unionsrepubliken als souveräne Staaten, formell durfte jede Unionsrepublik die Union verlassen. Eine Unionsrepublik hatte das Recht, in Verbindung mit anderen Staaten zu treten und an der Tätigkeit verschiedener internationalen Organisationen teilzunehmen.
Nach der Unionsgründung wurde das Territorium der BSSR vergrößert, dem Land wurden einige Landkreise (russisch: Ujezd) im Norden angeschlossen. Im Jahr 1924 wurde eine neue territoriale Aufgliederung eingeführt, das Land wurde in 10 Okruge (die größte Verwaltungseinheit), 100 Rajone und 1.202 Landratsgemeinden (russisch: Selskij Sowet) aufgeteilt. Für nationale Minderheiten wie Juden, Polen und Ukrainer wurden eigene Gemeinden gegründet.
In den 1920er Jahren bildete sich analog zum Rest der Sowjetunion ein Einparteiensystem aus. Oppositionellen Parteien und Organisationen wurden allmählich verdrängt und ausgeschaltet. Die Kommunistische Partei wurde zur zentralen Macht im Staat.
Die Wirtschaft in Belarus erlebte nach dem ersten Weltkrieg und dem Bürgerkrieg eine große Krise. Um die Krise zu bewältigen und die Wirtschaft wieder anzutreiben sollten die Reformen der Neuen Ökonomischen Politik (NEP, entworfen und umgesetzt von Lenin und Leo Trotzki) der ganzen Sowjetunion einen Aufschwung verleihen. Was war neu an dieser Politik? Lenin führte marktwirtschaftliche Prozesse in die staatlich gelenkte Wirtschaft ein. So bekamen Bauern das Recht, über ihre Produktion teilweise selbst zu verfügen. Sie mussten fortan nur eine sogenannte Naturalsteuer entrichten und durften den Rest frei verkaufen. Sehr schnell entwickelte sich so das Genossenschaftswesen. Die Bauern schlossen sich in Genossenschaften zusammen um ihre Arbeitsproduktivität und damit auch ihre Gewinne zu erhöhen. So war bis 1927 die Landwirtschaft der BSSR wieder aufgebaut.
Die Neue Ökonomische Politik räumte auch dem privaten Handel Entwicklungsspielraum ein. So gehörten zwischen 1922-1923 etwa 90% der Handelsbetriebe zu Privatunternehmern. Diese erwirtschafteten über 85% der Wertschöpfung des gesamten Landes. Die NEP erfasste auch den Industriebereich. Für die großen verstaatlichten Industriezweige wurde ein neues Leitungs- und Verwaltungssystem eingeführt. Der Oberste Rat für Volkswirtschaft und seine lokalen Vertretungen waren die Kontrollinstanzen, allerdings überließen sie den Betrieben unternehmerischen Entscheidungsspielraum. Das wirkte sich positiv auf die Stimmungslage der Unternehmen, und der Mitarbeiter und Konsumenten aus.
Eine Besonderheit der belarussischen Wirtschaft war, dass sich in dieser Zeit vor allem kleine private Betriebe rasant entwickeln konnten. Außerdem wurden in der Republik neue Industrien und Großbetriebe angesiedelt, was sich positiv auf die kleinen Handwerksbetriebe auswirkte. 1925 überflügelte man so erstmals wieder das Vorkriegsproduktionsniveau.
Der Wiederaufbau der Volkswirtschaft wurde nicht nur durch die Wirksamkeit der Neuen Ökonomischen Politik, sondern auch durch aktive Beteiligung der Bevölkerung und ihren Willen zum Wiederaufbau vorangetrieben. Die NEP stand teils im Widerspruch zum sozialistischen Gesellschaftssystem. Sie war interventionistischer Natur und wurde ohne den Umbau des politischen Systems und ohne die eigentlich notwendigen rechtliche Reformen verwirklicht. Die Politik beruft sich nicht auf objektive ökonomische Gesetze, sondern auf sozialen Bedarf und Voluntarismus. Sie war ein Hilfsmechanismus für die Belange der Zeit und den Mangel nach dem Krieg und war ein entscheidender Faktor für die Konsolidierung der Macht der Kommunisten. Allerdings führten die ihr innewohnenden Systemschwächen schließlich zu Problemen. Seit dem Jahr 1926 stiegen die Steuern, Kleinindustrie und Kleinhandel wurden allmählich aus dem Markt verdrängt. Die Neue Ökonomische Politik, die am Anfang Auftrieb in Industrie, Handel und Landwirtschaft auslöste, schlug fehl.
Das Jahr 1927 stand in Belarus im Zeichen von Versorgungskrisen, vor allem bei Getreide. Die Problemlösung sah die sowjetische Regierung in der Kollektivierung der Landwirtschaft, d.h. der Eingliederung der privaten landwirtschaftlichen Betriebe in ein staatliches System von Kolchosen (landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften). Dieser Kollektivierungsprozess verlief unter großem Zwang. Die Bauern die sich dagegenstemmten wurden hart bestraft, es drohten Gefängnis oder Deportation in Straflager. Trotz des aktiven Widerstands von Bauern war die Kollektivierung in der BSSR bis zum Anfang der 1930er Jahren abgeschlossen. Zu diesen Zeitpunkt waren 87,5% aller landwirtschaftlichen Betriebe in Kolchosen organisiert. Die Produktionsaustausch allerdings war enttäuschend. Die Kollektivierung nahm den Bauern das Recht das Recht auf eigene Produktionsmittel und schrieb ihnen die Arbeitsergebnisse vor. Dazu gab es ein zentralisiertes System der Planung und Leitung in den Kolchosen.
Mitarbeiter auf den Kolchosen hatten keine Pässe und waren de jure an den Ort ihrer Arbeitsstelle, der Kolchose, gebunden. Dies schränkte ihre Bewegungsfreiheit im Land völlig ein.
Die sozialen und ökonomischen Ergebnisse des wirtschaftlichen Aufbaus in den 1920er und 30er Jahren waren höchst widersprüchlich. Einerseits brachte der wirtschaftliche Aufbau der Sowjetunion einen enormen Entwicklungsschub, das Land holte im internationalen Vergleich auf. Anderseits führte der sozialistische Aufbau von Wirtschaft und Gesellschaft zu hohen materiellen und menschlichen Verlusten. Sukzessive wurden fast alle Eigentumsformen abgeschafft, und der Staat wurde zum Monopolisten.
Es ist festzuhalten, dass die BSSR trotz ihrer Ausrichtung auf Moskau das belarussische Volk konsolidierte und Minsk zum Zentrum des belarussischen nationalstaatlichen Wiederauflebens wurde. Die stalinische Regierung beobachtete aufmerksam die gesellschaftspolitischen Prozesse in der Republik, und überwachte und kontrollierte sie. Zu diesem Zweck wurden viele Moskauer Parteikader an wichtigen Führungsstellungen installiert. Bestes Beispiel dafür waren die Position des Vorsitzenden des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und des Chefs des Komitees für Staatssicherheit.
Die Nationalitäten-Politik der Sowjetunion fand in Belarus ebenfalls ihren Niederschlag. Die sogenannte „Politik der nationalen Wiedergeburt“ setzte als die BSSR 1920 gegründet wurde. Seit 1921 wurde die gesamte staatliche Aktenführung ins belarussische überführt. Einen wesentlichen Beitrag leistete die Belarussische Staatliche Universität Minsk (heute – die Größte Hochschule des Landes), die im Jahr 1921 eröffnet wurde. Bis zum Jahr 1928 sprachen 80% der Mitarbeiter der zentralen Staatseinrichtungen Belarussisch. Die Politik des nationalen Wiederaufbaus war erfolgreich und bekam umfangreiche Unterstützung des belarussischen Volks. Der Aufbau und Ausbau der Sprache half dabei das Gefühl zu formen, einer Nation anzugehören.
Seit Anfang der 1930er Jahren wurde allerdings eine gegensätzliche Politik verfolgt. Die zentrale sowjetische Verwaltung strebte danach, alles was mit der belarussischen Nation verbunden war, zu unterbinden. Damals wurde ein Mythos über ein breites Netzwerk von konterrevolutionären nationalistischen Organisationen verbreitet. Nach den Angaben der OGPU (Vereinigter staatlicher politischer Verwaltung) waren alle Bereichen der Volkswirtschaft, wissenschaftliche Einrichtungen und Hochschulen der BSSR davon durchdrungen geben. Dies lieferte den Verwand, das Wiederaufleben der nationalen belarussischen Identität im Keim zu ersticken.
Am 11. April 1927 wurde die Verfassung der BSSR verabschiedet, in der die Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik als ein sozialistischer Staat der Diktatur des Proletariats deklariert wurde. Laut Verfassung trat die BSSR freiwillig in die Sowjetunion ein.
Nach 10 Jahren wurde eine neue Verfassung der BSSR verabschiedet, da die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) 1939 selbst eine neue Verfassung verabschiedete. Die Verfassung der UdSSR verlangte eine völlige Übereinstimmung mit der Verfassung der BSSR. Die Gesetze der UdSSR hatten auf dem Territorium der BSSR vollständige Gültigkeit, da jeder Bürger der BSSR auch UdSSR-Bürger war. In der Verfassung handelte es sich formal um einen freiwilligen Zusammenschluss der BSSR mit der UdSSR, obgleich die Souveränität der Republik wesentlich begrenzt wurde. So fielen alle wichtigen Fragen des staatlichen Lebens in den Kompetenzbereich der UdSSR. Das Wirtschaftsleben der Republik wurde nach den Plänen der UdSSR entwickelt und koordiniert.
Viele Gesetze der Verfassung waren hatten Charakter von Erklärungen, entsprachen aber häufig nicht der Realität (bspw. in Bezug auf Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit).
Die sowjetische Wirtschaft hatte das Ziel die Schwerindustrie zu entwickeln, und große Maschinen- und Industriebetriebe zu errichten. Das zog eine elementare Umgestaltung der gesamten Volkswirtschaft nach sich. In der BSSR, genau wie in der ganzen Sowjetunion, fand dieser Prozess unter dem Slogan Sozialistische Industrialisierung statt. Die Umgestaltung zur Industriegesellschaft verlief in Belarus relativ rasch und benötigte zwischen zehn und fünfzehn Jahren. Diese Industrialisierung im Hauruck Verfahren benötigte beträchtliche finanzielle Mittel, die sich der Staat vom Volk holte. Viele nationale kulturelle Kunst- und Wertgegenstände, vor allem kirchliche, wurden verkauft. Die Arbeiterschaft bekam weniger Lohn und die Bauernschaft war hohen Steuern unterworfen.
In der BSSR entwickelte sich in der Zwischenkriegszeit die Brennstoff-, Holz-, Papier-, Textil–, Schuh- und Nahrungsmittelindustrie. Die Schwerindustrie war zu dieser Zeit kaum entwickelt.
Das Wirtschaften wurde in so genannten Fünfjahresplänen von der Kommunistischen Partei vorgeschrieben. Diesen Plänen war strikt Folge zu leisten. Es gab sozialistischen Wettbewerbe der so genannten Stachanow-Bewegung. Nach der Großtat von Stachanow (Übererfüllung des Tagesplans um 1.457%) begannen viele Menschen in der ganzen Sowjetunion, so war die Hoffnung, sich mehr Mühe zugeben, um ihre Arbeitsproduktivität zu steigern.
Am 23. August 1939 schlossen Hitler und Stalin den deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt, dessen geheimes Zusatzprotokoll die Einflusszonen der Sowjetunion und Nazi-Deutschlands aufteilen sollte. Nachdem Deutschland Polen angegriffen hatte, rückte die Rote Armee in das westliche Belarus ein. Dieses Territorium wurde annektiert und in die Weissrussische SSR eingegliedert. Trotz des Nichtangriffspaktes trat das Dritte Reich am 22. Juni 1941 in den Krieg gegen die Sowjetunion. Näher zu diesem Thema hier.
Während der anschließenden deutschen Besatzung wurde dem belarussischen Volk in allen Lebensbereichen enormer Schaden zugefügt. Nach der Niederlage Nazi-Deutschlands und seiner Verbündeten im Zweiten Weltkrieg begann eine neue Periode in der historischen Entwicklung der belarussischen Gesellschaft. Ihr Hauptmerkmal war ein geistiges Wiedererstehen. Aber die Freude, die mit dem Sieg über den Feind einherging, wurde durch die riesigen menschlichen Verluste überschattet. Im Vergleich mit allen anderen am Krieg beteiligten Ländern erlitt Belarus die größten Verluste: circa 3 Mio. Menschen bzw. jeder dritte Einwohner kamen ums Leben.
In der Nachkriegszeit lag die Landwirtschaft in Schutt und Asche, andere Sowjetrepubliken versorgten Belarus mit Vieh, Getreide und Agrartechnik. Für die Überwindung der Nachkriegsschäden waren große Anstrengungen von Nöten. Viele Städte wie Minsk wurden von Grund auf neu errichtet.
In der Nachkriegszeit wurden viele Kräfte und Mittel in den Wiederaufbau der Schwerindustrie investiert. In der Weissrussischen SSR entwickelten sich der Maschinenbau und die Elektrizitätswirtschaft mit besonders hohem Tempo. Schon im Jahr 1950 erreichte die Wirtschaft in fast allen Bereichen wieder das Vorkriegsniveau. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich Belarus zur fortschrittlichsten unter den Sowjetrepubliken. Es war ein bedeutendes Zentrum technischen Fortschritts, strategisch wichtige Großbetriebe wurden angesiedelt, unter anderem wurden vor Ort die ersten sowjetischen Microchips hergestellt. Das exzellente technische Bildungsniveau hat sich bis heute erhalten.
In Anteilnahme der schweren Verluste des Landes während der deutschen Okkupation im Zweiten Weltkrieg wurde die BSSR neben der Ukrainischen SSR und der UdSSR als Gründungsmitglied in die UNO aufgenommen. Sie hatte in der Vollversammlung ihre eigene Stimme, die aber stets im Block der UdSSR abgegeben wurde.
Die Belarussische SSR durchlebte politisch die gleiche Geschichte wie die gesamte Sowjetunion. Nach Stalins Tod begann die Tauwetter-Periode (1953-1964). Darauf folgte von 1964-1986 eine Phase der Stagnation. Am 7. Oktober 1977 wurde die letzte Verfassung der UdSSR verabschiedet.
Die politischen Prozesse der Perestroika-Periode führten zum Zerfall der Sowjetunion und zur Unabhängigkeit von Belarus. Das Ende der Sowjetunion wurde am 8. Dezember 1991 im Abkommen von Belowesch auf einen Anwesen der Nomenklatura in der Belaweskaja Puschtscha in der Nähe von Brest besiegelt, die Sowjetunion in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten überführt (GUS).